Formen von Geburtsverletzungen
Vesico-vaginale Fisteln, auch VVF genannt, sind die häufigsten Organverbindungen, die im Laufe der verlängerten Austreibungsphase während der Geburt durch Druck auf das Schambein auftreten. Häufig befindet sich diese Fistel am Blasenboden in der Nähe der Harnleitermündungen und dem Blasenausgang mit dem Schließmuskelapparat. Die Größe des Defektes kann stark variieren: vom haarfeinen Kanal bis zu einem geschrumpften, weit geöffneten Rest der Blase, verkürzter, vernarbter Harnröhre ohne Schließmuskelfunktion und frei im Becken mündenden Harnleitern gibt es alle Variationen.
Kleinere Fisteln können, wenn sofort entdeckt, mit einem Katheter versorgt werden und spontan abheilen. Größere Defekte werden mit deckender OP-Technik verschlossen. Große Defekte, auch komplizierte Fisteln genannt, können oft nicht mehr verschlossen werden, die Blasenfunktion kann nicht mehr wiederhergestellt werden, auch weil die Nervenversorgung und der Schließmuskel zerstört sind. Sie benötigen eine Harnableitung. Ein großer urologischer Eingriff, bei dem die Harnleiter entweder in ein Darmsegment zur Haut oder in Dickdarm , aus dem ein kleiner Beutel geformt wird (Mainz-II-Pouch), geleitet werden. Bei uns gebräuchliche Harnableitungen, bei denen aus einem Stück Dünndarm eine neue Blase geformt wird, die dann mit einem Katheter entleert wird, können in Afrika mangels Versorgung mit Hilfsmitteln nicht durchgeführt werden.
Selten treten zusätzlich recto-vesicale Fisteln, auch RVF genannt, auf. Sie entstehen, wenn der Druck des Kinderkopfes auch in Richtung Darm und Wirbelsäule andauernd stark war. Durch die Verbindung entleert sich Stuhlgang, es kommt zu permanenten Infekten in den betroffenen Bereich. Auch hier kann der Schließmuskel betroffen sein. Wenn die Rekonstruktion und Verschluss der Fistel nicht gelingt, werden die Patientinnen mit einem künstlichen Darmausgang (Anus praeter) versorgt. Aufgrund moderner Operationsmethoden wird dies zum Glück nur noch in Einzelfällen erforderlich.
Außerdem gibt es selten Verbindungen zwischen Harnröhre und Vagina (urethro-vaginale Fisteln, diese können auch nach ausgeprägten Beschneidungen auftreten), Uterus und Blase (vesico-uterine Fisteln), Harnleiter und dem hinteren Teil der Vagina (uretero-vaginale Fisteln). Letztere entstehen meist iatrogen, also nach einem ärztlichen Eingriff. Unzureichende operative Ausbildung, ungeeignetes Instrumentarium, schlechte Lichtverhältnisse führen zu Harnleiter- oder Blasenverletzungen bei Kaiserschnitt oder Gebärmutterentfernung. Wenn die Verletzungen während der Operation nicht erkannt werden, führt dies zu schwer identifizierbaren Fisteln im hinteren Scheidenbereich. Die Diagnostik und operative Versorgung erfordert erfahrene Ärzte. Leider nehmen in Äthiopien wie auch in Uganda diese Fisteltypen deutlich zu, das heißt, es werden zwar mehr Frauen operativ versorgt, die Qualität der Versorgung ist aber nicht gut. Diagnostik und richtige Versorgung der verschiedenen Fisteltypen ist Teil unserer urogynäkologischen Fellowship in Äthiopien. In Uganda werden sie zur Zeit von Dr. Fekade Ayanachew während seiner Trainingsaufenthalte operiert.
Wenn die Geburt in häuslicher Umgebung ohne fachkundige Unterstützung stattfindet, kann es im Laufe einer schnellen Geburt zu ausgeprägten Dammrissen kommen, die dann auch nicht sofort oder gar nicht operativ versorgt werden. Dabei kann es zu Verletzungen der Harnröhre, häufiger jedoch zu einer Verletzung des Anus und des Darmschließmuskels kommen. Nach Beschneidungen (female genital mutilation) kann es während der Geburt infolge der Narben zu ausgeprägten Verletzungen im Dammbereich kommen.
Im Lauf der Jahre und zunehmender Geburtenzahl sinkt der Beckenboden bei Muskelschwäche immer mehr ab, so dass es allein dadurch zu einer Stuhlinkontinenz kommt. Selbstverständlich werden auch diese Verletzungen in Fistelkliniken operativ versorgt, das Gewebe wird gerafft und der Darmschließmuskel operativ rekonstruiert.
Nach Geburten, aber auch im Laufe des Lebens bei Bindegewebsschwäche können sich die Beckenorgane wie Blase, Gebärmutter, Scheide und Enddarm in unterschiedlichen Ausprägungen absenken, das trifft Frauen in der ganzen Welt.
Gebärmuttersenkungen bis zum kompletten Vorfall allerdings sind in Afrika häufig, da Frauen viele Kinder bekommen und Rückbildungsgymnastik, wie bei uns nach Geburten, noch völlig unbekannt ist. Frauen vom Land können sich die Operation einer Gebärmuttersenkung in den staatlichen Krankenhäusern nicht leisten, es handelt sich ja nicht um einen Notfalleingriff. So leiden sie oft Jahre unter der zunehmenden Organabsenkung, manche können kaum laufen, da die Gebärmutter komplett nach außen gestülpt ist. Zur Versorgung wird meist die Gebärmutter entfernt und das umgebende Gewebe gerafft, bei jüngeren Frauen kann Gebärmutter-erhaltend operiert werden, eine Technik, die in den von uns geförderten Kliniken angeboten werden kann.
Senkungen von Blase, vorderer oder hinterer Scheidenwand werden mit Beckenbodengymnastik und Scheidenpessaren behandelt, stärkere Ausprägungen operiert. Die bei uns üblichen "Bänder" (TVT, TOT) können bei Fistelpatientinnen nicht verwendet werden, da das Operationsgebiet stark vernarbt ist. Diese Bänder sind auch zu teuer im Versorgungssystem afrikanischer Staaten, so dass ältere Operationstechniken mit körpereigenem Material durchgeführt werden.
Verletzungen wie ein Gebärmuttereinriss während der Geburt führen zu akuten Blutungen. Sie treten häufig bei Frauen nach vielen Schwangerschaften auf und werden in Akutkrankenhäusern hoffentlich rechtzeitig versorgt. Dabei wird in Afrika zur schnellen Blutstillung meist gleich die Gebärmutter entfernt, auch bei ganz jungen Frauen. Die Verletzung umgebender Strukturen wie Blase oder Harnleiter ist bei diesen Notfalloperationen nicht selten. Das kann dann zu hohen Scheidenfisteln führen.
Fistelkliniken sind keine Akutkrankenhäuser, sie versorgen die Spätfolgen.